Jakob Augstein widmet seine Kolumne in Spiegel Online
am 28.10.2013 der NSA-Affaire und setzt sich zwischen alle Stühle,
indem er sich nicht nur an der USA-Politik, sondern auch an der
Merkel-Politik reibt: Merkel und der Spähskandal: Washingtons Hausmeisterin?
Für
Augstein befinden sich die USA im Kriegsmodus. Sie habe sich selbst und
der Welt den dauernden Notstand auferlegt und sei darüber zu einem
totalitären Staat mutiert, der nur seine eigenen Interessen ohne
Rücksicht auf Verbündete verfolge. Auf deutscher Seite und
gesteigert bei Kanzlerin Merkel identifiziert Augstein ein gehöriges Maß
enttäuschter Liebe. Die Entwicklungen drängten Merkel zudem in eine
Rolle, die ihr wenig liege. Merkel sei gezwungen, aktiv zu gestalten. Hinsichtlich
der Frage, in welche Richtung ein Bündnis mit den USA gestaltet werden
sollte, das nicht auf gemeinsamen Werten, sondern lediglich auf partiell
gemeinamen Interessen beruht, empfiehlt Augstein, eigene
Nachrichtendienste und die digitale Abwehrkette zu stärken.
Einwenden lässt sich gegen Augsteins Argumentation zunächst, dass die USA in ihrer Politik prinzipiell
ihre eigenen Interessen rücksichtlos verfolgt, unabhängig davon, in
welchem Modus sie ihre Politik betreibt. Möglicherweise befindet sich
jedoch die Politik der USA permanent im Kriegsmodus und sieht sich daher
permanent berechtigt, ihre eigenen Interessen zweckorientiert mit allen verfügbaren Mitteln auch auf Kosten
Verbündeter durchzusetzen. Transparenz über eingesetzte Mittel
und Art der Zwecke ist dabei nicht erwünscht. Nur naive Naturen
glauben, dass ausschließlich Terrorabwehr betrieben wird. Politik und
Wirtschaft von Bündnispartnern zählen ebenso zu Zielobjekten der
Spionage. Wie auch immer, das Verständnis von
Politik und von Bündnissen scheint in den USA speziell und über die
Grenzen der USA nicht
konsensfähig zu sein.
Schwerwiegender ist jedoch ein anderes
Argument. Augsteins Ansatz geht zurück auf das archaische Prinzip "Auge
um Auge, Zahne um Zahn". Auch wenn dieses Prinzip unter dem Apsekt
zweckorientierter Handlungsstrategien als pragmatisch erscheinen mag,
ein Agieren im moralfreien Raum wäre ein Armutszeugnis unserer Kultur
bzw. das Eingeständnis des Versagens von Rechtsprinzipien, die über eine
lange Kulturgeschichte entwickelt worden sind und Fundamente jeder
Kooperation bilden. Ohne Kooperation wird jedes komplexere Zusammenleben
unmöglich. Belastbare Kooperationen setzen symmetrische Beziehungen und
eine Vertrauensbasis voraus, mit anderen Worten: Moral. Ohne Moral
geben wir Ideen von der besten aller möglichen Welten auf. Wollen wir
das wirklich?
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